Neuer Bericht zur Einflussnahme der Tabakindustrie zeigt: Tabakunternehmen in Deutschland verhindern wichtige Maßnahmen der Tabakkontrolle.

Heute veröffentlicht das Global Center for Good Governance in Tobacco Control den Bericht Global Tobacco Industry Interference Index 2020, indem erstmalig auch Deutschland untersucht wurde. Unfairtobacco gibt gemeinsam mit Frauen Aktiv Contra Tabak (FACT), der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) sowie acht weiteren Organisationen den Index zur Einflussnahme der Tabakindustrie in Deutschland heraus. Dieser zeigt, dass die Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Gesundheitspolitik in Deutschland weiterhin stark ist. Die Bundesregierung kommt damit ihren Verpflichtungen nicht nach, die sie mit der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakkonsums (WHO FCTC) eingangen ist. Insbesondere Artikel 5.3 der WHO FCTC, der den Schutz gesundheitspolitischer Maßnahmen vor der Einflussnahme der Tabakindustrie vorsieht, wird damit nicht bzw. unzureichend erfüllt.

Im Global Index steht Deutschland an 23. Stelle von 57 untersuchten Ländern und damit gleich auf mit Kasachstan und Malaysia. Daraus lässt sich schließen, dass dringend benötigte Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums in Deutschland aufgrund der Einmischung der Industrie fehlen. Die Tabakindustrie pflegt eine unangemessene Nähe zu politischen Entscheidungsträger*innen und nutzt dies, um gesundheitspolitische Regulierungen auszubremsen.

Der Bericht wurde von Laura Graen, einer deutschen Tabakkontrollexpertin, verfasst. Er basiert auf einem Fragebogen der Southeast Asian Tobacco Control Alliance (SEATCA) und greift ausschließlich auf öffentliche Quellen zurück. In Deutschland sind die vielseitigen Verbindungen zwischen Industrie und Politik, auch aufgrund des Fehlens eines öffentlichen Lobbyregisters, allerdings nicht ausreichend transparent. Deshalb kann die Bewertung mit 63 Gesamtpunkten als Mindestwert aufgefasst werden, der auch höher ausfallen könnte (größtmögliche Einflussnahme = 100 Punkte).

Der Index enthält zahlreiche Beispiele der (versuchten) Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Politik. Das Außenwerbeverbot für Tabakprodukte wurde um mehrere Jahre verzögert, E-Zigaretten und Tabakerhitzern werden bei der Besteuerung gegenüber Zigaretten bevorzugt und die Unternehmen werden zweckbestimmt von Tabaksteuern in Höhe von 5-6 Millionen Euro jährlich befreit.

Außerdem präsentieren sich Tabakunternehmen als sozialverantwortliche Unternehmen, die politische Aktivitäten und soziale Initiativen und Veranstaltungen sponsern. Dies soll ihr gesellschaftliches Ansehen und Einflussmöglichkeiten auf die Politik sichern und verbessern. Sie spenden an politische Parteien oder Landesregierungen, sponsern Parteitage und politische Veranstaltungen und engagieren sich umfassend in Bildung, Wissenschaft und Kultur. Wichtige Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums werden in der Folge dieser Aktivitäten verhindert, z.B. „regelmäßige signifikante Erhöhungen der Tabaksteuer, eine umfassende Gesetzgebung für Nichtraucherschutz, eine gute Unterstützung bei der Raucherentwöhnung, ein umfassendes Verbot von Tabakwerbung, -promotion und -sponsoring sowie wirksame Maßnahmen gegen die Einmischung der Tabakindustrie in die Politik“.

Insgesamt kommt die Autorin zu dem Schluss, dass die deutsche Regierung neue Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums nur dann umsetzt, wenn sie durch eine EU-Verordnung vorgeschrieben sind. Laura Graen empfiehlt deshalb eine Reihe von Maßnahmen, um den Einfluss der Tabakindustrie zurück zu drängen. Neben der Verabschiedung einer umfassenden nationalen Strategie zur Eindämmung des Tabakkonsums auf Grundlage der WHO FCTC mit konkreten Fristen für Maßnahmen, fordert sie weitere Regulierung und erhöhte Transparenz zu Sponsoringaktivitäten und Spenden durch die Industrie sowie die Einführung eines Lobbyregisters.

Angesichts des durch Tabakkonsum bedingten Todes von 125.000 Menschen in Deutschland fordert Unfairtobacco, dass die Bundesregierung ihrer gesundheitspolitischen Verantwortung gerade jetzt in der Coronakrise nachkommt. Die Folgen des Tabakkonsums verursachen jedes Jahr direkte und indirekte Kosten in Höhe von 97 Milliarden Euro mit hohen Belastungen für das Gesundheitssystem. Tabakunternehmen dürfen nicht weiter notwendige Maßnahmen der Tabakkontrolle in Deutschland verhindern.

Mehr als 15 Jahre nach der Ratifizierung des WHO FCTC ist die Tabakindustrie in Deutschland immer noch stark und in der Lage, Einfluss auf die Gesundheitspolitik zu nehmen.“ Laura Graen, Expertin für Tabakkontrolle und Autorin des Berichts