In der Coronakrise inszeniert sich die Tabakindustrie als Retter in der Not. Ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver, bekämpft sie doch seit Jahrzehnten das öffentliche Wohl und ruiniert die Gesundheit vieler Menschen.

Eine Industrie, die davon lebt, die Gesundheit zu schädigen, kann sich in Katastrophenszenarien wie der jetzigen Pandemie nicht wirklich glaubhaft für das öffentliche Interesse und die Gesundheit der Menschen einsetzen. Die nun zahlreich lancierten PR-Aktivitäten der Tabakindustrie zielen eher darauf ab, ihr ramponiertes Image aufzupolieren. Tabakunternehmen versuchen seit Jahrzehnten die öffentliche Meinung zu beeinflussen, indem sie sich als wohltätige und an Nachhaltigkeit orientierte Unternehmen darstellen.

In der Coronakrise fallen Tabakunternehmen damit auf, wie sie medienwirksam nach einem Impfstoff forschen, an karitative Einrichtungen spenden, politische Lobbyarbeit betreiben und fake news verbreiten. Die Industrie säht Zweifel an einem Zusammenhang zwischen Infektionsraten, schweren Krankheitsverläufen von COVID-19 und Rauchen. Laut zahlreichen Wissenschaftler*innen und Expert*innen unterliegen Raucher*innen allerdings tatsächlich einem höheren Risiko, an Corona zu erkranken bzw. einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden.

Die Verkäufe von Tabak scheinen sich jedoch seit Beginn der Krise nicht verringert zu haben. Die großen Tabakunternehmen Imperial Brands und British American Tobacco haben erklärt, keine Rückgänge im Verkauf zu haben, und scheinen nach wie vor hochprofitabel. Verständlich, denn die Krise greift schwerwiegend in alle Lebensbereiche der Menschen ein, gefährdet Existenzen und führt zu großer psychischen Belastung, der viele Menschen mit Suchtverhalten begegnen. Es gibt jedoch keinen besseren Zeitpunkt, um mit dem Rauchen aufzuhören, als jetzt, wo die Gefahr für die eigene Gesundheit potentiell sogar höher ist.

Rette sich, wer kann: Hier kommt die Tabakindustrie!

Die Tabakindustrie kämpft bereits seit Jahrzehnten gegen ihr schlechtes Image. Doch sie hat es zu Recht: Tabakfirmen produzieren und verkaufen wissentlich ein Produkt, welches ausschließlich negative Folgen für Mensch und Umwelt hat. In der Coronakrise bietet sich der Industrie nun die Möglichkeit, ihren Ruf zu verbessern und sich als Retter in der Not besonders gut in Szene zu setzen.

Beispiel: Reemtsma Cigarettenfabriken kümmert sich um Obdachlose

In Hamburg unterstützt die Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH Obdachlose, indem sie 300.000 Euro für Obdachloseneinrichtungen zur Verfügung stellt. Damit sollen Wohnungslosen sichere und hygienische Unterkünfte zur Verfügung gestellt und so die Corona-Verbreitung eingedämmt werden. Die Aktion wird per Presseerklärung beworben, in der an Selbstlob für die eigene Großzügigkeit nicht gespart wird. Fragwürdig ist dabei die Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk Hamburg und der Caritas – wichtige kirchliche Einrichtungen, die auch von Sucht betroffenen Menschen helfen. Verschiedene Caritasverbände bieten z.B. Raucherentwöhnungsprogramme an.

Es steht außer Frage, dass Obdachlosen nicht nur während dieser Krise geholfen werden muss. Allerdings zeigt die mediale Inszenierung der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH, wie wichtig PR für die Zigarettenindustrie ist und wie die Krise dafür genutzt wird. Reemtsma ist ein hochprofitables Unternehmen, das einen Großteil seines Gewinns auf Kosten der Gesundheit ihrer Kund*innen erwirtschaftet. Kirchliche Einrichtungen sollten sich um ihrer Glaubwürdigkeit willen von solchen Kooperationen distanzieren anstatt sich auf der Webseite der Zigarettenfirma mit einem Zitat instrumentalisieren zu lassen.

Beispiel: British American Tobacco jagt nach dem Impfstoff

Weltweit wird zur Zeit fieberhaft nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus geforscht. Viele private und kommerzielle Unternehmen beteiligen sich daran und führen eigene Forschung durch. Auch die Tabakindustrie mischt mit: British American Tobacco (BAT) behauptet, bereits ab Juni große Mengen an Impfstoffdosen herstellen zu können. Das BAT-Biotechnologie-Tochterunternehmen, Kentucky BioProcessing (KBP), forscht dazu an Tabakpflanzen und hat eigenen Angaben zufolge bereits den Durchbruch erzielt, benötigt jedoch staatliche Unterstützung. Ergebnisse klinischer Tests stehen noch aus.

Auch wenn Forschung zu einem Impfstoff elementar wichtig ist, sollte kritisch hinterfragt werden, wer die Forschung betreibt und finanziert. Dass kommerzielle Unternehmen wie BAT plötzlich uneigennützig Gelder zum Wohle aller mobilisieren, ist unwahrscheinlich. Hier geht es auch um Prestige, Einflussnahme und nicht zuletzt (öffentliche) Forschungsgelder. BAT hat zudem gute Presse bitter nötig. Der Konzern sieht sich derzeit mehreren Klagen gegenüber. Wegen der Kinderarbeit auf Malawis Tabakplantagen haben britische Menschenrechtsanwälte im Namen hunderter arbeitender Kinder und ihrer Familien BAT auf Entschädigung verklagt. Außerdem laufen sowohl in den USA als auch in Großbritannien Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen wegen Verstößen gegen Sanktionen und Korruptionsvorwürfen.

Beispiel: Philip Morris sorgt sich um Atemwege

Besonders grotesk erscheint die Unterstützung von Philip Morris International (PMI) für griechische Krankenhäuser. So spendete das griechische PMI-Tochterunternehmen Papastratos Beatmungsgeräte, um Krankenhäuser im Kampf gegen COVID-19 Erkrankungen zu unterstützen. Dies führte zu heftiger Kritik von Tabakkontrollexpert*innen und kann letztlich als PR-Stunt von PMI gesehen werden. Hat doch PMI, eines der größten Tabakunternehmen der Welt, erheblich dazu beigetragen, dass ihre Produkte die Gesundheit vieler ruiniert haben und ihre Kund*innen nun zur Risikogruppe gehören.

Auch in Rumänien ist PMI aktiv geworden: 1 Million US-Dollar wurden an das rumänische Rote Kreuz gespendet, um die Coronakrise zu bekämpfen. Unter anderem sollen auch davon Beatmungsgeräte für Krankenhäuser gekauft werden.

Beispiel: Fake News und Werbung

Das Global Center for Good Governance in Tobacco Control berichtet, dass in mehreren Ländern Falschinformationen darüber verbreitet worden sind, Rauchen oder Vaping würde Konsument*innen sogar vor Corona schützen. Zudem schürt die Tabakindustrie Zweifel an Forschungsarbeiten, die ein erhöhtes Krankheitsrisiko für Raucher*innen nahe legen.

Die Kampagne Take A Part der US-amerikanischen Campaign for Tobacco-Free Kids beobachtete, dass die Tabakindustrie in mehreren Ländern ihre Produkte mit Hinweisen auf Corona vermarktet (z.B. mit Stichwörtern/Slogans wie „Quarantäne“ oder „stay at home“). In Tschechien wurden beispielsweise kostenfreie Lieferungen nach Hause angeboten und die Vorteile rauchfreier Tabakprodukte in der Quarantänesituation hervorgehoben. Im Libanon wurde in mobilen Textnachrichten für IQOS geworben.

Beispiel: Lobbyarbeit für „Grundversorgung“

Regierungen mehrerer Länder haben abgewägt, welche Güter lebenswichtig und zur Grundversorgung der Bevölkerung während der Krise notwendig sind. In Ländern wie Indien oder Russland wurde der Verkauf von Tabakprodukten verboten. Daher übt die Tabakindustrie zunehmend Druck auf Regierungen aus, Tabak- und E-Zigaretten-Produktionsstätten sowie Läden und Tabakprodukte als „wesentlich“ („essential“) für die Grundversorgung der Bevölkerungen aufzulisten.

Südafrika hat neben dem Verkauf von Alkohol auch den Verkauf von Tabak während des 21-tägigen Lockdowns verboten. Das Verbot ist heftig umstritten. British American Tobacco ruft die südafrikanische Regierung dazu auf, das Verbot aufzuheben, und begründet, Raucher*innen würden sonst durch ihre Suche nach illegal verkauften Zigaretten die Eindämmung des Virus gefährden. Die Regierung hat Tabak allerdings nicht als lebenswichtiges Gut eingestuft („essential good“). Im Gegenteil: Die Regierung warnt Raucher*innen vor den zusätzlichen gesundheitlichen Folgen während einer COVID-19 Erkrankung. Ein Zusammenschluss von Zigarettenunternehmen in Südafrika will nun gegen das Gesetz klagen.

In Russland lobbyieren Tabakunternehmen gegen einen von der Regierung erlassenen Produktionsstopp von Tabakprodukten während der Coronakrise. Sie argumentieren damit, dass nicht nur ihnen, sondern auch der Regierung Einnahmen entgehen und der illegale Zigarettenmarkt wachsen werde.

Gesundheitsexpert*innen, darunter die International Union Against Tuberculosis and Lung Disease, haben die Tabakindustrie dazu aufgerufen, ihre Verkäufe angesichts der Pandemie generell einzustellen, und damit den Kampf gegen Corona zu unterstützen. Wie zu erwarten fährt die Industrie einen konträren Kurs. Denn im Gegensatz zu anderen Branchen ist sie ausschließlich auf ein (verzichtbares) Produkt ausgerichtet, welches Mensch und Umwelt schädigt und keinen gesellschaftlichen Mehrwert hat. Stellt sie die Produktion ein, brechen alle Einnahmen weg. Ein Produktionsstopp ist daher nur durch strenge Tabakkontrolle und politische Regulierung erreichbar.

Krise im System, System in der Krise

Die Folgekosten des Tabakkonsums belaufen sich allein in Deutschland jährlich auf mehrere Milliarden Euro. Dies belastet das Gesundheitssystem auch ohne Krise bereits erheblich. Jetzt wird zudem deutlich, wie fragil die Gesundheitssysteme vieler Länder bereits sind. Auch in „hochentwickelten“ Ländern wie den USA, Italien, Spanien oder Großbritannien herrschen teilweise dramatische Zustände in den Krankenhäusern. Dringend benötigte Intensivbetten fehlen, Schutzausrüstung für Krankenhauspersonal reicht nicht aus.

In den letzten Jahren wurden Krankenhäuser zu häufig danach betrachtet, ob sie sich wirtschaftlich lohnen. So wurden Gesundheitssysteme kaputt gespart, um Kosten zu senken, mit verheerenden Folgen in vielen Ländern. Dies ist auch ein Ergebnis der Interventionen der Tabakindustrie auf Regierungsebene und ihrer Verflechtungen mit Regierungen oder einzelnen Entscheidungsträger*innen, wie z.B. in Großbritannien. Zahlreiche Mitglieder der britischen Regierung haben Erfahrung als Lobbyist*innen, u.a. für die Tabakindustrie. Um staatliche Regulierungen zu begrenzen, hat die Tabakindustrie in Großbritannien u.a. politisch einflussreiche Think Tanks finanziert und für ihre Interessen sprechen lassen.

Imagepflege in der Krise verdeckt Firmeninteressen

Sicherlich sind alle Mittel zur Überwindung der derzeitigen Krise zu begrüßen. Alles, was die Gesundheitssysteme jetzt entlastet und die Forschung vorantreibt, sollte in die Waagschale geworfen werden.

Allerdings sollte kritisch hinterfragt werden, wer aus welchen Antrieb heraus aktiv wird. Kooperationen der Tabakindustrie mit staatlichen Stellen sowie zivilgesellschaftlichen oder kirchlichen Initiativen sollten strikt abgelehnt werden. Die Tabakindustrie inszeniert sich als Retter in der Not, ist aber selbst für eine andere schleichende, allerdings nicht weniger zerstörerische Epidemie verantwortlich: die Tabakepidemie. 8 Millionen Menschen sterben laut WHO jährlich an den Folgen von Tabak.

Das Interesse der Tabakindustrie an der Gesundheit der Menschen muss deshalb angezweifelt werden. Sie hat zwar die finanziellen Mittel, um Forschung zu betreiben und vielleicht auch Durchbrüche zu erzielen. Dringend gefragt ist jetzt aber unabhängige Wissenschaft und Forschung. Erfahrungen mit der Pharmaindustrie zeigen, dass kommerzielle private Industriezweige vorrangig Profite erwirtschaften wollen und selten ihre Forschung und Produkte zum allgemeinen Wohl der Menschen eingesetzt haben.

Die Tabakindustrie ist da nicht anders. Der Öffentlichkeit erscheint sie als wohltätig wie schon in vorangegangenen Krisen und Katastrophen. Im Hintergrund betreibt die Tabakindustrie aber weiter ihr Geschäft. Tabakunternehmen vermarkten süchtig machende Produkte, setzen gesellschaftliche Ungleichheiten in Profite um und nutzen auf politischer Ebene ihr Image als Wohltäter dazu, staatliche Regulierung zu verzögern oder ganz zu verhindern.

PR-Stunts, Fake News, Lobbyismus – Damit inszeniert sich die Tabakindustrie als Retter in der Not während der Coronakrise