Gastbeitrag von Dr. Nandita Murukutla

Indien zeigte sich als echtes globales Vorbild, als es die Entscheidung traf, vorab getestete Bild-Warnhinweis (GHWs) einzuführen, die 85% der Oberfläche von Tabakverpackungen bedecken müssen. Die Veröffentlichung dieser Entscheidung im Oktober 2014 wurde von den 200 Regierungen und Institutionen mit Applaus bedacht, die in Moskau für die internationalen Verhandlungen der Vertragsstaaten der Tabakrahmenkonvention FCTC versammelt waren. Sie erhielt außerdem viel öffentlichen Zuspruch von nationalen und internationalen Führungskräften und Gesundheitsexpert*innen in den folgenden Monaten.

Bild-Warnhinweise sind dringlich

Indien wurde für die Wirtschaftlichkeit der GHWs gelobt und für die Beispielhaftigkeit dieser entscheidenden Maßnahme für andere Länder. Indien hat die größte jugendliche Bevölkerung der Welt, doch deren demographisches Potenzial wird nur dann gewinnbringend für Indien sein, wenn das Land seine Bewohner*innen vor leidvollen Krankheiten und frühzeitigem Tod in den produktivsten Jahren bewahren kann. Derzeit treten in Indien jährlich eine Million tabakbedingte frühzeitige Todesfälle auf. Jährlich entstehen 22,4 Milliarden US-Dollar an Gesundheitskosten. Weltweit sieht sich Indiens Jugend der höchsten (und zunehmenden) Rate von Krebs im Mundraum gegenüber. Die Uhr des Todes tickt unaufhörlich.

GHWs lösen jedes Mal einen Alarm bei gegenwärtigen wie zukünftigen Tabakkonsument*innen aus, wenn sie nach einer Tabakpackung greifen. Die Bilder warnen vor der drohenden und realen Gefahr des Tabakgebrauchs und ersetzen die glänzenden irreführenden Bilder von Marlboro Männern und Bollywood Diven, mit denen die Tabakindustrie hausieren geht. GHWs ermächtigen Individuen zu einer besser informierten Entscheidung darüber, was sie sich selbst und anderen antun, wenn sie Tabak benutzen. Sie raten der Jugend davon ab, den Tabakkonsum zu beginnen, und Tabakkonsument*innen legen sie eine Entwöhnung nahe. In einem Land mit niedriger Alphabetisierungsrate und geringer formeller Bildung haben die Bilder das Potenzial, Millionen von Menschenleben zu verbessern.

Industrie versuchte zu verzögern und zu verhindern

Die Tabakindustrie weiß das und deshalb versuchte sie große Bild-Warnhinweise in Indien und vielen anderen Ländern zu verzögern und zu verhindern – dabei griff sie in die Umsetzung einer bewiesen guten öffentlichen Politik ein. Hätte dieses störende Eingreifen nicht diese ernsthaften Folgen, dann wären die Argumente der Tabakindustrie gegen GHWs geradezu amüsant. Sie behauptet, dass Bild-Warnhinweise das Verhalten nicht beeinflussen würden, und argumentieren im selben Atemzug damit, dass der illegalen Tabakhandel ansteigen würde. Sie beklagen, dass GHWs den Verlust von Existenzen zur Folge haben würde und stellen anschließend die Produktion in ihren Fabriken ein. Sie behaupten, Indien sollte nicht so große GHWs umsetzen, weil andere Ländern das auch nicht tun – und ignorieren damit Nachbarländer wie Nepal (90%), Thailand (85%), Sri Lanka (80%) und Myanmar (75%). Die Argumente der Tabakindustrie sind wechselhaft und widersprüchlich. Und vor allem widersprechen sie den wissenschaftlichen Belegen.

In Indien wie in anderen Ländern wurden arme Bäuerinnen, Bauern und Arbeiter*innen als Gesichter der Tabakindustrie präsentiert. Ihre Armut und Verzweiflung wird gnadenlos ausgenutzt und zur Schau gestellt durch die Werbung der Industrie, verschwenderische Rechtsstreits, organisierte Proteste und Demonstrationen. Die wahren Puppenspieler*innen – die reichen Eigentümer*innen und das mittlere Management der Tabakindustrie – bleiben verborgen. Außerdem kann der Einfluss und die Mittel der multinationalen Tabakgiganten wie British American Tobacco und Philip Morris – die Namen hinter einigen der größten indischen Tabakfirmen – nicht übersehen werden. Sie haben ein starkes globales Eigeninteresse, andere Länder davor abzuschrecken, dem Beispiel Indiens mit der Einführung von großen GHWs zu folgen, was immer es kosten möge.

GHWs schaden Indiens Armen nicht, sie helfen ihnen

In Indien wie in vielen anderen Ländern müssen höchstwahrscheinlich die Ärmsten diese Kosten tragen. Tabak ist ein Killer, der Arbeiter*innen und Farmer*innen genauso zu Opfern macht wie die Konsument*innen der Produkte. Auf unterstem Niveau bezahlt, vor allem Frauen und Kinder umfassend und unter erschreckenden Arbeitsbedingungen leidend fristet die Mehrheit der Tabakbauern und -bäuerinnen und der Arbeiter*innen ein bedauernswertes Leben. Ohne dass sie es wissen, wird durch das einfache Hantieren mit Tabak Nikotin aufgenommen und bewirkt schwere Krankheiten. Sie werden in ihrer Unwissenheit ausgebeutet, in Armut gehalten und die Wahrheit wird vor ihnen verborgen. Bild-Warnhinweise werden dabei helfen, ihnen die Wahrheit zu zeigen.

Tabak bewirkt in Indien eine Armutsspirale, da tabakbedingte Krankheiten und Familienausgaben von den Ausgaben für Ernährung und Bildung abgezweigt werden. Dort werden schätzungsweise jedes Jahr weitere 15 Millionen Menschen durch Tabak verarmen. Und es gibt tatsächlich Beweise dafür: die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass in Niedrig- und Mitteleinkommensländern wie Nepal oder Ägypten Haushalte mit geringem Einkommen 10% ihrer Ausgaben für Tabak aufwenden. Die WHO hat außerdem darüber berichtet, dass wohnungslose Kinder in Indien einen erheblichen Teil ihres verfügbaren Geldes für Tabak ausgeben, häufig sogar eher als für Essen. Doch obwohl sie weiterhin erklärt auf der Seite der Armen zu stehen, steigen die Profite der Tabakindustrie.

Die Reduzierung des Tabakkonsums in Indien würde nicht nur Leben retten durch verbesserte Gesundheit, erhöhte wirtschaftliche Aktivität und geringere Gesundheitskosten. Es würde auch den derzeit ausgebeuteten Tabakfarmer*innen und Arbeiter*innen die Möglichkeit geben, zu gesünderen und wirtschaftlichen alternativen Einkommen zu wechseln. Sogar im allerbesten Fall wird die Reduzierung des Tabakkonsums nur allmählich passieren, so dass Regierungen und die derzeit im Tabaksektor Beschäftigten Zeit für die Umstellung haben.

Das Gesundheitsministerium ist angesichts der Einflussnahme der Tabakindustrie stark geblieben. Aktivist_innen für Tabakkontrolle verfechten weiterhin das Gesetz für die 85%-igen Bild-Warnhinweise und fordern die Unwahrheiten der Tabakindustrie heraus. Erst kürzlich hat das Ministerium mit technischer Unterstützung von Vital Strategies eine Medienkampagne für Tabakkontrolle mit dem Titel Tears You Apart gestartet und berschreibt darin die gesundheitliche, finanzielle und emitionale Last für Tabakkonsument*innen und ihre Familien. Eine Social Media Kampagne mit einer laufenden Uhr des Todes zeigt die Anzahl der Todesfälle in Indien und die Profite, die die Tabakindustrie in derselben Zeit macht. Während ich dies schreibe, zeigt die Uhr 1.016.270 Todesfälle seit dem 1. April 2015, seit dem die Bild-Warnhinweise verzögert werden.

Es ist eine untragbar große Last. Indien muss weiterhin die irreführenden Argumente der Tabakindustrie entkräften und jetzt 85% Bild-Warnhinweise durchsetzen.

Indien hat die größte jugendliche Bevölkerung der Welt, doch deren demographisches Potenzial wird nur dann gewinnbringend für Indien sein, wenn das Land seine Bewohner*innen vor leidvollen Krankheiten und frühzeitigem Tod in den produktivsten Jahren bewahren kann.
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